JOHANNES SCHMOELLING
Radio Play
Metamorphose der Stille
Ein Hörstück von
Martin Burckhardt & Johannes Schmölling
Sprecher: Hans Madin
Gesang: Anne Haenen
Komposition: Johannes Schmölling
Text: Martin Burckhardt
Tontechnik: Johannes Schmölling
Realisation: Johannes Schmölling & Martin Burckhardt
aufgenommen im Riet-Studio, Berlin, Dezember/ Januar '86/ 87
copyright Johannes Schmölling & Martin Burckhardt 1987
I. Inhaltsbeschreibung
Die Stimme eines Alten, der räsoniert: über das Unaussprechliche, das Ende und
darüber, daß es nichts mehr zu sagen gibt. Es ist kein bestimmter Mann, und das,
was er sagt, läßt allenfalls den Schatten einer Biografie erahnen. Es gibt keine
anderen Menschen, die seine Welt besiedeln, nur schemenhafte, körperlose Gestalten,
Erinnerungen aus der Vorkriegszeit, "sprachgelehrte Affen, alles in allem". Nein, im
Monolog des Alten geht es nicht um eine Geschichte im herkömmlichen Sinn, (Geschichte
als Teleologie, als Geschichtsbestimmung), es geht eher um jenen Bereich, der nach dem
Zusammenbruch der Geschichte sich öffnet: um die Geschichte nach der Geschichte.
Und so ist die Stimme des Alten nicht die Verkörperung eines Lebensplans, der sich in
und mit ihm erfüllt, sondern allein das, was sie ist. Stimme. Und weil die Stimme,
obwohl vielleicht das Persönlichste eines Menschen, auch das Allerflüchtigste
seiner Erscheinung ist (eben jener Bereich, der nicht Körper ist), ist die Stimme
des Alten als eine körperlose aufzufassen: als Stimme, die ihrer Biografie abhanden
gekommen, die apokryph geworden ist.
So wie der Alte einen Zustand darstellt, der sich jenseits des Codes der Individuation, der
Bestimmung und Festschreibung von Geschichte, ansiedelt, so auch die beiden anderen
Protagonisten der METAMORPHOSE DER STILLE.
Ein brabbelnder Säugling, der Sprache unfähig, und eine Opernsängerin, die virtuos
und equilibristisch mit ihrer Stimme spielt.
Und so merkwürdig das Ensemble dieser Figuren, diese Zerrform einer "heiligen Familie"
sich auch ausnehmen mag, so offenbart sich darin doch ein gemeinsames Element. Daß es
Stimmen sind, die nicht in Sprache, bedeutung und im kulturell fixierten Code aufgehen,
sondern als Klangkörper. als Musikinstrumente um ihrer selbst willen angehört
werden wollen. Hier, jenseits der Sprache und der Herrschaft des Codes, erzählen diese
Stimmen von den Grenzen und von der Überwindung des Geschichtlichen: durch die Natur und
durch die Kunst. - Allein der Alte, der doch nichts sehnlicher wünscht als ganz und gar
in Musik aufzugehen, bleibt dem verhaftet, dem er doch zuantkommen sucht: der Sprache. Und
damit der Reflexion, die sich in einem System der Spiegelungen verliert, der Unmöglichkeit
mithin, dem Anfangs- und dem Urbild je nahe kommen zu können.
© 1998 - 2002 by Johannes Schmoelling